Wie viel Schwingung ist erträglich und zulässig?
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Wie viel Schwingung ist erträglich und zulässig?
Schwingungen und Erschütterungen begegnen uns überall in Bauwerken, ob im Alltag (Wohnen, Arbeiten) oder im Labor. Doch ab welcher Amplitude, Frequenz und Einwirkungsdauer werden sie von Menschen als störend empfunden oder sind gar gesundheitlich bedenklich? Und welche Grenzen gelten für Gebäude und hochsensible Geräte?
Wie viel erträgt der Mensch?
Neben den rein physikalisch beschreibbaren Grössen der Schwingung, nimmt jeder Mensch Schwingungen individuell wahr. Faktoren wie Körperhaltung (Stehen, Sitzen, Liegen), Tätigkeit (Laufen, Arbeiten, Schlafen), Richtung der Erschütterung sowie physische und psychische Verfassung spielen eine Rolle. Hannes Reiher und Franz Josef Meister (1931) sowie Hugo Bachmann und Kollegen haben Erschütterungsempfindlichkeitsklassen definiert und praxisgerecht aufbereitet:
Anhaltspunkte finden sich zudem in den Normen DIN 4150-2 und ISO 10137. Sekundäre Effekte, wie wackelnde Bildschirme, wackelnde Pflanzen oder klirrende Gläser, können zusätzlich als störend empfunden werden. Bei moderaten Erschütterungen sind unmittelbare Gesundheitsschäden selten; langfristig kann jedoch Stress zu Herz-Kreislauf- oder psychischen Problemen führen.
Für die Bahnbetreiber gelten die BEKS-Richtwerte „Weisung für die Beurteilung von Erschütterungen und Körperschall bei Schienenverkehrsanlagen (BEKS) (PDF, 19 kB, 20.12.1999)“ als Mindestschutz.
Wie viel erträgt ein Bauwerk?
Ob eine Struktur Schaden nimmt, hängt von
- der Amplitude,
- der Frequenz,
- der Dauer der Einwirkung und
- der Tragwerkskonstruktion
ab. Die Schweizer Norm VSS 40 312 legt Richtwerte fest, bei deren Einhaltung strukturelle Schäden unwahrscheinlich sind. Allerdings behandelt sie nicht Setzungsdifferenzen im Boden; ungleichmässige Setzungen können Rissbildungen oder andere Schäden verursachen.
Wie viel ertragen empfindliche Geräte?
von atomaren Gasen in der Quantenoptik-Gruppe der ETH Zürich
Labor- und Präzisionsanlagen wie hochauflösende Mikroskope, Mikrowaagen, bildgebende Verfahren, Teilchenbeschleuniger, Quantencomputer oder aber auch Labormäuse reagieren (extrem) sensibel auf externe Erschütterungen. Da jedes Gerät bzw. jedes Labor individuell auf Erschütterungen reagiert, sind allgemeine Grenzwerte oft unzureichend. Entscheidend sind neben Amplitude und Frequenz insbesondere:
- Stärke und Richtung der Schwingung,
- massgebende Frequenzen,
- Einwirkungsdauer und
- zeitliche Veränderung (kontinuierlich vs. impulsartig) der Erregung.
Colin G. Gordon publizierte in den frühen 1990er-Jahren Kriterien zur Beurteilung von Schwingungsarmut an Laborstandorten, welche in der Zwischenzeit internationaler Standard sind. Die konkrete Auswertung und Bewertung erfolgt immer in Abstimmung mit Gerätehersteller oder Nutzer, in der kommenden, neuen Ausgabe der VDI 2038 werden dazu vereinheitlichte Regeln vorgeschlagen.
Beitrag basierend auf dem Faltblatt „Schwingungs- und Erschütterungsprobleme bei Bauwerken“ von der Stiftung für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen: https://www.baudyn.ch/ und dem Bundesamt für Umwelt: https://bafu.admin.ch/
Bild:
Heidi Hostettler, ETH Zürich. Departement Physik
Tabelle:
Bachmann et al.:”Vibration Problems in Structures”. ISBN 3-7643-5148-9. Birkhäuser Verlag, Basel 1997